Entdeckt: Wie ein Krebs seine Gliedmaßen ausbildet

Zellschicksale sich entwickelnder Organe mit neu entwickelter Open-Source-Software enthüllt

Während der Entwicklung eines mehrzelligen Organismus entsteht aus einer einzigen Zelle eine Reihe unterschiedlicher Zelltypen, die wiederum verschiedenste Gewebe und Organe bilden. Seit mehr als einem Jahrhundert versuchen Biologen die Entwicklungsgeschichte von verschiedenen Strukturen in sich entwickelnden Organismen zu verstehen. Zum Beispiel, welche Zellen sind für die Bildung von Augen oder Gliedmaßen verantwortlich? Wie verändern diese Zellen in der Entwicklung ihr Verhalten, um letztlich die Form und Funktion des Organs zu realisieren? Diese Fragen nach dem Zellschicksal zu beantworten war bisher sehr schwierig, da es kaum möglich war, das Verhalten von Zellen sich entwickelnder Embryonen zu beobachten. Ein internationales Forscherteam, bestehend aus der Gruppe um Pavel Tomancak am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden und Anastasios Pavlopoulos, ehemaliges Mitglied im Tomancak-Labor und jetzt am HHMI Janelia Research Campus USA, wollte diesem Fragen mit neuen Methoden auf den Grund gehen. Gemeinsam mit Forschern der Humboldt-Universität und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, beide in Berlin, dem Pasteur-Institut in Frankreich, und anderen Kollegen am HHMI untersuchten die Wissenschaftler die zellulären Grundlagen der Entwicklung von Gliedmaßen.

Dazu schaute sich das Forscherteam die Entwicklung des marinen Krebses Parhyale hawaiensis näher an. Dieser Krebs hat eine bemerkenswerte Anzahl spezialisierter Gliedmaßen entlang seiner Körperachse, ähnlich einem Schweizer Taschenmesser. Die Zellkerne von Embryonen wurden mit Fluoreszenz markiert und mit der hochmodernen Lichtscheibenmikroskopie aufgenommen. Um ein komplettes Bild der sich entwickelnden Parhyale-Gliedmaßen zu erhalten, mussten die Tiere in ihrer Entwicklung aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen und analysiert werden. Mit diesen komplexen und mehrdimensionalen mikroskopischen Aufnahmen standen die Forscher vor der Herausforderung, die biologisch aussagekräftigen Informationen aus diesen riesigen Datensätzen zu extrahieren.  Dafür entwickelte das Team eine benutzerfreundliche Software namens Massive Multi-view Tracker (MaMuT), die als Fidji/ImageJ-Plugin frei verfügbar ist. Mit einer Kombination aus der Lichtscheibenmikroskopie und der Software MaMuT gelang es den Forschern, die Zellschicksale aller an der Beinentwicklung beteiligter Zellen zu verfolgen, über die im Open-Access-Journal eLife berichtet wurde. Anastasios Pavlopoulos erklärt: „Letztlich konnten wir die Beinentwicklung in Parhyale-Embryonen über mehrere Tage verfolgen und untersuchen, von den ersten Differenzierungen bis hin zu einem fertig geformten Bein.“ Mit diesen Techniken konnten die Forscher Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Zellen zu Gliedmaßen organisieren und eine Reihe von morphogenetischen Verhaltensmustern analysieren, die zur Bildung und zum Auswachsen von Gliedmaßen beitragen. 

Pavel Tomancak gibt einen Ausblick: „Die hier beschriebenen Werkzeuge und Methoden werden dabei helfen, die zellulären und molekularen Mechanismen aufzudecken, die das Schicksal von Zellen während der Entwicklung eines Organismus bestimmen. Das könnte dazu beitragen, die zugrundeliegenden Ursachen von Fehlern während der Entwicklung zu erklären.“