Ein Hirngrößen-Gen, das nur der Mensch hat

Auf den Spuren der Evolution

Die Abbildung zeigt die Großhirnrinde eines Mausembryos. Die Zellkerne sind blau gefärbt und tiefer liegende Nervenzellen sind in rot zu erkennen. Unter dem Einfluss des menschenspezifischen Gens ARHGAP11B haben sich auf der rechten Hirnhemisphäre Faltungen in der Großhirnrinde gebildet. Bild: MPI-CBG

Rund 99 Prozent der Gene haben wir Menschen mit den Schimpansen gemeinsam, der kleine Rest unterscheidet uns. Ein wichtiger Unterschied: Das Gehirn des Menschen ist dreimal so groß wie das von Schimpansen. Im Laufe der Evolution müssen also in unserem Genom Veränderungen erfolgt sein, die dieses Gehirnwachstum ausgelöst haben. Wieland Huttner, Direktor und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden, ist es mit seinem Team erstmalig gelungen, ein Gen zu identifizieren, das nur im Menschen vorkommt und zur Vermehrung der sogenannten basalen Hirn-Stammzellen beiträgt und eine Großhirnrindenfaltung auslösen kann. Dazu haben die Forscher verschiedene Subpopulationen von menschlichen Hirn-Stammzellen isoliert und genau bestimmt, welche Gene in welchen Zelltypen aktiv sind. Dabei stießen sie auf das Gen ARHGAP11B: Es ist nur im Menschen und unseren nächsten ausgestorbenen Verwandten, dem Neandertaler und Denisova-Menschen, nicht aber im Schimpansen zu finden, und bringt Hirn-Stammzellen dazu, einen größeren Pool an Stammzellen zu bilden. Dadurch können während der Gehirnentwicklung mehr Nervenzellen entstehen und das Großhirn expandiert. Dieser Bereich unseres Gehirns ist für höhere kognitive Leistungen wie Sprechen oder Denken verantwortlich. (Science, Februar 2015)

Bei ihren Arbeiten entwickelten die Forscher um Wieland Huttner eine Methode, mit der man spezielle Subpopulationen von Hirn-Stammzellen aus dem sich entwickelnden menschlichen Großhirn gewinnen kann. Das war bisher noch niemandem gelungen. Die Wissenschaftler isolierten zunächst verschiedene Stamm- und Vorläuferzelltypen aus fötalem Großhirngewebe von Menschen und Mäusen. Im Gegensatz zum großen, gefalteten menschlichen Hirn ist das von Mäusen klein und glatt. Dann verglichen die Forscher die Gene, die in diesen diversen Zelltypen aktiv sind, und konnten 56 Gene identifizieren, die nur im Menschen vorkommen und eine Rolle bei der Gehirnentwicklung spielen könnten. „Uns fiel auf, dass das Gen ARHGAP11B insbesondere in den sogenannten basalen Hirn-Stammzellen aktiv ist. Diese Zellen sind für die Expansion der Großhirnrinde im Laufe der Evolution besonders wichtig,“ so Marta Florio, Doktorandin im Labor von Huttner, die den Hauptteil der Untersuchungen durchführte.

Das menschenspezifische Gen funktioniert auch in Mäusen

Bei den weiteren Arbeiten richteten die Forscher ihr Augenmerk auf die Funktion dieses speziellen Gens. Wenn es im Menschen tatsächlich dafür sorgen sollte, dass mehr Hirn-Stammzellen gebildet werden und damit ein expandiertes Großhirn, dann sollte dieses menschenspezifische Gen im kleineren Maushirn Ähnliches bewirken, vermuteten die Forscher. Sie brachten das Gen in Mausembryonen ein, und tatsächlich: Diese bildeten unter dem Einfluss des menschlichen Gens deutlich mehr Hirn-Stammzellen und in der Hälfte der Fälle sogar Faltungen der Großhirnrinde, wie sie beim Menschen besonders ausgeprägt sind. All diese Befunde legen nahe, dass dem Gen ARHGAP11B eine Schlüsselrolle in der evolutionären Expansion der menschlichen Großhirnrinde zukommt.

Dafür sprechen auch die Daten der an der Studie beteiligten Forscher um Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Sie bestätigten nämlich, dass ARHGAP11B nicht nur in unserem Genom vorkommt, sondern auch schon in Neandertalern und Denisova-Menschen existierte. Neandertaler hatten ein ähnlich großes Gehirn wie der Mensch. „ARHGAP11B ist das erste menschenspezifische Gen, von dem gezeigt werden konnte, dass es zur Vermehrung der relevanten, sogenannten basalen Hirn-Stammzellen beiträgt und eine Großhirnrindenfaltung auslösen kann. Damit sind wir der Evolution wieder etwas mehr auf die Spur gekommen“, fasst Wieland Huttner die Studie zusammen. Seine Arbeitsgruppe interessiert sich schon lange für die Geheimnisse der menschlichen Gehirnevolution. In den letzten Jahren machten die Forscher bereits mehrere Entdeckungen, die zum Verständnis beitrugen, wie im Laufe der Evolution ein großes Gehirn entsteht. So identifizierten sie beispielsweise im Jahr 2010 einen neuen Stammzelltyp in der äußeren Keimzone des Gehirns. Das aktuelle Projekt hat das Team um Wieland Huttner in Zusammenarbeit mit Andreas Dahl vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden und Robert Lachmann vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden durchgeführt.

Originalveröffentlichung:
Marta Florio, Mareike Albert, Elena Taverna, Takashi Namba, Holger Brandl, Eric Lewitus, Christiane Haffner, Alex Sykes, Fong Kuan Wong, Jula Peters, Elaine Guhr, Sylvia Klemroth, Kay Prüfer, Janet Kelso, Ronald Naumann, Ina Nüsslein, Andreas Dahl, Robert Lachmann, Svante Pääbo, Wieland B. Huttner: Human-specific gene ARHGAP11B promotes basal progenitor amplification and neocortex expansion,  Science (2015), 26. Februar 2015