Das Gen, dem wir unser großes Gehirn verdanken

Hirnorganoide liefern Einblicke in die Evolution des menschlichen Gehirns

Ein etwa 3 Millimeter großes Hirnorganoid, das aus Stammzellen eines Schimpansen hergestellt wurde. In rot sind die Hirnstammzellen zu sehen, in grün sind Hirnstammzellen zu sehen, die das Gen ARHGAP11B erhalten haben. Foto: Jan Fischer

ARHGAP11B – diesen komplexen Namen trägt ein Gen, das nur beim Menschen vorkommt und das eine wesentliche Rolle bei der Vergrößerung des sich entwickelnden Neocortex spielt. Der Neocortex ist der Teil des Gehirns, dem wir unsere hohen geistigen Fähigkeiten verdanken. Welche Bedeutung ARHGAP11B bei der Neocortex-Entwicklung im Verlauf der menschlichen Evolution hatte, hat ein Team aus Forschern vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen, vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden und vom Hector Institut für Translationale Hirnforschung (HITBR) in Mannheim untersucht. Dazu hat das Forscherteam ARHGAP11B und damit erstmals ein Gen, das nur im Menschen existiert, in im Labor gezüchtete Hirnorganoide unserer nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen, eingebracht. Das ARHGAP11B-Gen führte im Schimpansen-Hirnorganoid zu einer Vermehrung der für Hirnwachstum relevanten Hirnstammzellen und zu einem Anstieg von jenen Nervenzellen, die eine entscheidende Rolle für die außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten des Menschen spielen. Wurde hingegen entweder das ARHGAP11B-Gen in menschlichen Hirnorganoiden ausgeschaltet oder die Funktion des ARHGAP11B Proteins in diesen gehemmt, so sank die Menge dieser Hirnstammzellen auf das Niveau eines Schimpansen. So konnte das Forscherteam zeigen, dass das Gen ARGHAP11B bei der Evolution des Gehirns von unseren Vorfahren zum heutigen Menschen eine entscheidende Rolle spielte (EMBO reports).

Tierexperimentelle Studien an Menschenaffen sind in Europa aus ethischen Gründen seit langem verboten. Eine Alternative sind sogenannte Organoide, also wenige Millimeter große, dreidimensionale Zellstrukturen, die im Labor gezüchtet werden. Diese Organoide können aus sogenannten pluripotenten Stammzellen hergestellt werden, die sich dann in bestimmte Zelltypen, also zum Beispiel in Nervenzellen, differenzieren. Auf diese Weise konnte das Forscherteam sowohl Schimpansen-Hirnorganoide als auch menschliche Hirnorganoide herstellen. „Diese Hirnorganoide haben uns erlaubt, eine zentrale ARHGAP11B betreffende Frage zu untersuchen“ sagt Wieland Huttner vom MPI-CBG, einer der drei federführenden Autoren der Studie. „In einer früheren Studie zusammen mit Michael Heide konnten wir zeigen, dass ARHGAP11B ein Primatengehirn vergrößern kann. Unklar war bislang aber, ob ARHGAP11B eine Haupt-oder nur eine Nebenrolle bei der evolutionären Vergrößerung des menschlichen Neocortex hatte. “Um das zu klären, wurde das ARGHAP11B-Gen entweder in hirnventrikelähnliche Strukturen von Schimpansen-Organoiden eingebracht, oder es wurde in menschlichen Hirnorganoiden ausgeschaltet, bzw. die Funktion des ARHGAP11B Proteins wurde durch ein verwandtes hemmendes Protein blockiert. Würde das ARGHAP11B-Gen dazu führen, dass sich im Schimpansen-Gehirn jene Hirnstammzellen vermehren, die für die Vergrößerung des Neocortex notwendig sind? „Unseres Studie zeigt, dass das Gen in Schimpansen-Organoiden für eine Vermehrung der relevanten Hirnstammzellen und für einen Anstieg an jenen Nervenzellen sorgt, die eine entscheidende Rolle für die außergewöhnlichen geistigen Fähigkeiten des Menschen spielen“, sagt Michael Heide, der federführende Hauptautor der Studie, der Leiter der Nachwuchsgruppe Gehirnentwicklung und -evolution am DPZ, in Mitarbeit am MPI-CBG, ist. Wurde das ARGHAP11B-Gen in menschlichen Hirnorganoiden ausgeschaltet oder die Funktion des ARHGAP11B Proteins gehemmt, so sank die Menge dieser Hirnstammzellen auf das Niveau eines Schimpansen. „Wir konnten damit zeigen, dass ARHGAP11B eine entscheidende Rolle spielt bei der Neocortex-Entwicklung im Verlauf der menschlichen Evolution“, sagt Michael Heide. Dem fügt Julia Ladewig vom HITBR, die dritte im Bunde der federführenden Autoren, hinzu: „In Anbetracht dieser wichtigen Rolle von ARHGAP11B ist es darüberhinaus denkbar, dass bestimmte Fehlentwicklungen des Neocortex möglicherweise durch Mutationen in diesem Gen verursacht werden.“

Pressemeldung des Deutschen Primatenzentrums

 

Originalpublikation:

Fischer J, Fernandez Ortuno E, Marsoner F, Artioli A, Peters J, Namba T, Eugster Oegema C, Huttner WB, Ladewig J, Heide M (2022): Human-specific ARHGAP11B ensures human-like basal progenitor levels in hominid cerebral organoids. EMBO reports, doi: 10.15252/embr.202254728