Dehnung der unsterblichen Hydra

Dresdener Forschende zeigen, wie Zellen durch die Koordination ihrer mechanischen Eigenschaften einen neuen Organismus vollständig neu bilden können.

Zwei Hydras mit grün markiertem Aktin. ©Anaïs Bailles / MPI-CBG

Während der Entwicklung eines Embryos organisieren sich Gruppen von Zellen selbst und formen sich an bestimmten Stellen im Körper zu verschiedenen Geweben und Organen. Dazu nutzen sie Informationen aus der Umgebung und kommunizieren miteinander, um eine Grundstruktur oder ein Muster für die Formbildung zu erstellen, das auch als Körperbauplan bezeichnet wird. Wie mechanische Signale den Zellen dabei helfen, ein geordnetes Muster aus einem völlig ungeordneten Zustand zu bilden, ist noch unbekannt.

Die Forschungsgruppe von Pavel Tomancak am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) hat sich gemeinsam mit den Gruppen von Carl Modes (MPI-CBG) und Christoph Zechner (MPI-CBG-Alumnus) näher mit dieser Frage beschäftigt. Um die Selbstorganisationsfähigkeiten von Zellen ohne äußere Umwelteinflüsse während des Musterbildungsprozesses zu untersuchen, arbeiteten die Forscher mit Hydra, einem kleinen wirbellosen Süßwassertier, das zur Gattung der Nesseltiere (Cnidaria) gehört und für seinen einfachen Körperbau und seine Regenerationsfähigkeit bekannt ist. 

„Wir haben 10.000 bis 100.000 Zellen von Hydra zu einem Klumpen dissoziierter Zellen vermischt. Durch die erstaunlichen Regenerationsfähigkeiten konnte der Zellklumpen Gewebe bilden, ein neues Muster, eine neue Form und sogar eine vollständige Hydra entstehen lassen“, erklärt Anaïs Bailles, die die Studie gemeinsam mit Pavel Tomancak leitete. „Um die Mechanismen dahinter zu verstehen, haben wir die physikalischen Einschränkungen des Gewebes gestört. Während eine Veränderung der Topologie und Geometrie keine direkten Auswirkungen hatte, führte eine Dehnung auf einer Seite zu einer starken Verzerrung der Ausrichtung von Aktin, einem Netz aus haarähnlichen Filamentstrukturen, die der Zelle ihre mechanischen Eigenschaften verleihen. In der Richtung, in die wir gedehnt haben, richtete sich die Körperachse der Hydra aus, woraufhin sich später der Kopf bildete.“

Pavel Tomancak fasst zusammen: „Wir konnten zeigen, dass die Gewebemechanik eine mechanochemische Selbstorganisation mit dem Ziel eines funktionsfähigen Organismus auslösen kann. Diese Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse über die Mechanismen der Formbildung von Organismen und sind für unser Verständnis der Entwicklung und der Gewebetechnik von Bedeutung.“

 

 

Originalpublikation

Anaïs Bailles, Giulia Serafini, Heino Andreas, Christoph Zechner, Carl D. Modes, Pavel Tomancak: Anisotropic stretch biases the self-organization of actin fibers in multicellular Hydra aggregates. PNAS, August 4, 2025, 122 (32) e2423437122