Die tickende Gen-Uhr hat ausgedient

Wie ein Doppler-Effekt die Segmentierung steuert

Aufnahme aus einem Zeitraffer-Film, der zeigt, wie sich in einem Zebrafischembryo nacheinander die Körpersegmente bilden. In Falschfarben sieht man die Genexpressionswellen vom hinteren in den vorderen Teil des Tieres wandern, das Gewebe bewegt sich auf diese Wellen zu – ein Doppler-Effekt entsteht.

Viele Lebewesen haben Körper, die klar in Abschnitte unterteilt sind – dieses Muster kann man sowohl in Würmern als auch Menschen erkennen. Diese Segmentierung findet sehr früh in der Entwicklung statt: Entsteht etwa die Wirbelsäule, bilden sich in einer rhythmisch fortlaufenden Folge die Wirbelvorläufer. Der Proteinkomplex, der dies wie eine tickende Uhr in Wellen steuert, wird deshalb „Segmentation Clock“ genannt. Bisher erklärte man sich diese Musterbildung mit der zeitlichen Abfolge von in Wellen ablaufender Genaktivität. Diese Woche veröffentlichen Forscher des MPI-CBG ihre neuesten Erkenntnisse dazu in der Zeitschrift Science: Sie legen nahe, dass die Einteilung in Körpersegmente ausgeklügelter als bisher angenommen reguliert wird, nämlich durch eine Art Doppler-Effekt, der aus Genexpressions-Wellen in einem sich verkürzenden Gewebe entsteht und so den Rhythmus der Segmentierung beeinflusst. Damit entwerfen sie ein völlig neues Verständnis der Segmentierung. 

Auch wenn wir es manchmal vergessen, haben wir mit vielen Tieren etwas gemeinsam: Nämlich die Tatsache, dass unser Körper entlang seiner Achse in Segmente eingeteilt ist. Während der embryonalen Entwicklung helfen räumliche und zeitliche Signale dabei, die richtige Anzahl von Segmenten zu bilden, die später zu Rippen und Wirbeln werden. Der Rhythmus dieses Strukturierungsprozesses ist dabei entscheidend. Wie aber wird der ganze Vorgang zeitlich koordiniert?

Bei Wirbeltieren stellt man sich die Segmentierung während der embryonalen Entwicklung als Wellen von Genen vor, die in ihrer Aktivität anschwellen und abebben. Den Rhythmus, der diesem komplexen Netzwerk unterliegt und es steuert, vergleicht man mit einer tickenden Uhr: Bei jedem Ticken bildet sich ein neues Segment. Dieses Bild stellten die Dresdner Forscher um den Biologen Andy Oates vom MPI-CBG und den Physiker Frank Jülicher vom Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS) auf den Prüfstand. Sie entwickelten eine neue transgene Zebrafisch-Art (die sie „Looping“ nennen) und ein mehrdimensionales Zeitraffer-Mikroskop. Mit diesem konnten sie nun gleichzeitig die Genexpressionswellen und die Segmentbildung sichtbar machen. Die erstaunliche Beobachtung: Das Einsetzen und Abschwellen der Genexpression geschieht in unterschiedlichen Abständen – das Bild der tickenden Uhr hat damit als Erklärungsmodell ausgedient. Vielmehr beeinflusst eine Art Doppler-Effekt die Segmentbildung, wie das Team folgerte.

Schallwellen und Genexpressionswellen

Fährt ein Krankenwagen mit Martinshorn an einem vorbei, ändert sich die Tonhöhe der Sirene – das ist der Doppler-Effekt, der entsteht, weil sich die Frequenz der Schallwellen mit der zu- oder abnehmenden Entfernung zwischen Sender und Empfänger verändert. Wie sich nun zeigt: Schallwellen sind gar nicht so anders als die Wellen der Genexpression in einem sich entwickelnden Zebrafisch. Sie wandern von der Schwanzspitze zum Kopf des Tieres, gleichzeitig entwickelt sich aber der Embryo weiter, seine Form verändert sich also, teilweise verkürzt sich dabei Gewebe. Der vordere Teil des Fisches, an dem die entstehenden Segmente angesiedelt sind, bewegt sich auf das hintere Ende zu, von dem die Genexpressionswellen geschickt werden – es kommt zu einem Doppler-Effekt in dem wachsenden Fischembryo. Überlagert wird dieser Effekt durch sich ständig verändernde Wellenlängen, was ihm entgegenwirkt, ihn aber nicht unterdrücken kann. Durch dieses komplexe Timing werden Anzahl und Größe der entstehenden Wirbel und Rippen gelenkt.

Die Erkenntnisse der Dresdner Forscher könnten unser Verständnis von der zeitlichen Steuerung der Segmentierung während der Entwicklung revolutionieren. Der Mechanismus, der die unterschiedlichen Wellenprofile auslöst, ist das nächste Rätsel, das gelöst werden muss – was wiederum zeigt, wie komplex die Entwicklung eines Lebewesens ist.

Video: Die Körpersegmente eines sich entwickelnden Zebrafischs entstehen in einer fortlaufenden und rhythmischen Abfolge

Originalveröffentlichung

Daniele Soroldoni, David J. Jörg, Luis G. Morelli, David L. Richmond, Johannes Schindelin, Frank Jülicher, Andrew C. Oates:
A Doppler effect in embryonic pattern formation.
Science, 11. Juli 2014