Wer die Antenne erbt, hat schneller Empfang

Max-Planck-Forscher machen eine Entdeckung, die die bisherige Lehrmeinung über den Haufen wirft

Eine neurale Stammzelle in den Stadien ihrer Zellteilung. In Magenta markiert ist das primäre Cilium zu sehen, das an eine der beiden Tochterzellen vererbt wird; diese bleibt Stammzelle. Quelle: MPI-CBG, Dresden

Zellen haben kleine Antennen, mit denen sie Signale aufnehmen können. Das so genannte primäre Cilium ist so ein Sensor-Fortsatz, der in Wirbeltieren in fast allen Zellen vorkommt. Bisher ging man davon aus, dass dieses primäre Cilium im Vorfeld einer Zellteilung abgebaut wird, damit die mit dem Cilium verankerten Zentrosomen frei werden, eine Teilungsspindel aufzubauen und das Erbgut zu gleichen Teilen auf die beiden Tochterzellen zu verteilen. Forscher des Dresdner Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) haben nun in Gehirn-Stammzellen und in kultivierten Zellen gezeigt, dass es ganz anders abläuft: Das Cilium bleibt während der Zellteilung mit einem der beiden Zentrosomen verbunden und wird an eine der entstehenden Tochterzellen vererbt. „Das bedeutet, dass dieses Kapitel in den aktuellen Lehrbüchern umgeschrieben werden muss“, ordnet Prof. Wieland Huttner, Direktor am MPI-CBG, den Befund seiner Arbeitsgruppe ein.

Eigentlich war die Entdeckung, wie so oft in der Wissenschaft, ein reines Versehen: „Ich suchte nach etwas anderem, und dann sah ich plötzlich noch Reste des Ciliums in der Zelle als Punkt“, erinnert sich Dr. Judith Paridaen. Und das kurz vor einer Zellteilung – nach der gängigen Lehrmeinung müsste sich die Zellantenne aber schon längst abgebaut haben, um die Zellteilungsspindel ungehindert arbeiten zu lassen. Die junge Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe von Wieland Huttner markierte das Cilium mit einem fluoreszierenden Protein und verfolgte es in allen Stadien der Zellteilung. „Am Ende war immer noch Membran des Ciliums zu sehen, ich konnte beobachten, dass es an eine der beiden entstehenden Tochterzellen vererbt wurde“, so Paridaen.

Die Tochterzelle, die das Membranvesikel mit den Cilium-Resten erhält, kann dadurch Stammzellcharakter bekommen. Schon nach einer Stunde hat sich dann aus den Membranresten ein neues, funktionierendes Cilium herausgeformt. „So hat diese Tochterzelle einen Vorsprung vor der anderen, oder anders gesagt: So entsteht eine asymmetrische Zellteilung“, erklärt Paridaen.

Das neue Wissen hat bisher noch keinen offensichtlichen Bezug zu Krankheiten, und eine therapeutische Anwendung liegt auch noch nicht auf der Hand – es ist pures neues Wissen. Das macht die Erkenntnisse nicht weniger spektakulär: „Immerhin ist die Zellteilung ein fundamentaler biologischer Vorgang, und unsere Befunde bedeuten, das dieser anders abläuft als bisher gedacht“, so Wieland Huttner.