Das Sehen verstehen

Forscher zeigen, wie die erste Schicht der Netzhaut entsteht

Illustration einer wandernden Zelle.

Während der Embryonalentwicklung eines Zebrafischs wandern bestimmte Nervenzellen, die retinalen Ganglienzellen, durch die entstehende Netzhaut und bilden dann die erste Schicht dieses Gewebes. Später entsteht aus diesen Zellen der Sehnerv. Zeichnung: Julia Eichhorn, Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik

Unsere Netzhaut besteht aus mehreren Schichten. Zur Bildung dieser Schichten ist es wichtig, dass sich Nervenzellen während der Entwicklung der Netzhaut von ihrem Entstehungsort wegbewegen und die richtige Position im Gewebe finden. Wie diese Wanderbewegungen von Nervenzellen aber ablaufen, ist besonders in der Retina bisher nicht verstanden. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden haben jetzt die Zellen genauer untersucht, welche die erste Schicht der Netzhaut und später den Sehnerv bilden. Sie konnten zeigen, dass diese sogenannten retinalen Ganglienzellen gezielt und schnell durch das Gewebe wandern. Ist diese erste Zellwanderung gestoert und die retinalen Ganglienzellen gelangen nicht an den richtigen Standort, so ist auch die Ausbildung der später entstehenden Schichten der Netzhaut gestört.

Um zu verstehen wie Netzhaut Neuronen den richtigen Platz zur richtigen Zeit erreichen, nahmen die Forscher aus der Arbeitsgruppe von Caren Norden den Zebrafischen als Modellsystem. Diese kleinen Fische sind problemlos zu halten und anfangs durchsichtig, man kann also bestimmtes Gewebe in lebenden Fischen markieren und unter dem Mikroskop beobachten. Dabei ist die Netzhaut eines Zebrafischs wie die eines Menschen aufgebaut und entwickelt sich nach ähnlichen  Prinzipien. Um die Bewegung der Zellen zu verfolgen, haben sich die Forscher für die Selective Plane Illumination-Mikroskopie (SPIM) entscheiden. Bei dieser relativ neuen Technik wird nur eine hauchdünne Schicht der Probe beleuchtet und abgebildet. So werden negative Effekte wie durch Licht ausgelöster Stress minimal gehalten und die Zellen in ihrem Verhalten nicht beeinträchtigt.

Neu entstandene retinale Ganglienzellen beginnen eine rund 5 Stunden andauernde Wanderbewegung, die das Forscherteam des Max-Planck-Instituts unter dem Mikroskop verfolgte. Dabei konnten sie sehen, dass sich die Bewegung der Zellen in zwei Phasen einteilen lässt. Die ersten 2 Stunden wandern die Zellen beständig und sehr schnell, verlangsamen die Bewegung dann in der zweiten Phase und schalten zu einer weniger zielgerichteten Feinpositionierung um. Wenn sie ihr Zielgebiet erreicht haben, bilden die Nervenzellen Axone aus. Stört man diesen Vorgang, so hat das nicht nur Auswirkungen auf die erste Gewebeschicht der Netzhaut, sondern beeinträchtigt deren gesamte weitere Entwicklung. Die Schichtenbildung in der Netzhaut während der embryonalen Entwicklung hängt also absolut von einer fehlerfreien Wanderbewegung der retinalen Ganglienzellen ab.

Originalveröffentlichung

Jaroslav Icha, Christiane Kunath, Mauricio Rocha‐Martins, and Caren Norden:
Independent modes of ganglion cell translocation ensure correct lamination of the zebrafish retina
Journal of Cell Biology, 24. Oktober 2016
doi: 10.1083/jcb.201604095