Das Ende der Hirn-Shakes

Dresdner Forscher schaffen es, mit Hilfe jeder beliebigen Zelle Tubulin zu produzieren

Aus Nachtfalter-Zellen wurde Tubulin herausgefiltert, daraus haben sich Mikrotubuli aufgebaut, wie die elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt.

Mikrotubuli sind existentiell für Zellen: Sie bilden das Zellskelett, das Zellen ihre spezifische Form gibt. Auch ermöglichen die röhrenförmigen Proteine den Prozess der Zellteilung, und es laufen auf ihnen Transportvorgänge der Zelle ab. Aufgebaut sind Mikrotubuli zum Großteil aus Tubulin. Für die experimentelle Arbeit an Tubulin gab es die letzten 50 Jahre eine große Einschränkung: Es konnte nicht – wie etwa Insulin – biotechnologisch hergestellt werden, sondern musste aufwändig aus Schweinehirnen gewonnen werden. Bei der Prozedur holten Labormitarbeiter Schweinehirne morgens um 5 Uhr vom Schlachthof ab, wo sie als Abfallprodukt anfallen. Die Hirnmasse musste im Mixer zu Hirn-Shake zerkleinert werden, und dann in vielen Schritten langsam das begehrte Material herausgereinigt werden. Aus rund 100 Schweinhirnen konnte man so 2 Gramm Tubulin gewinnen.

Forscher des MPI-CBG haben nun eine neue Technik entwickelt, mit der reines und funktionierendes Tubulin in einem einzigen Schritt aus nahezu jeder Zelle gewonnen werden kann. Der Trick: Die neue Technik macht sich die Eigenschaften von so genannten TOG-Domänen zu eigen, die in bestimmten Proteinen in Zellen vorkommen - und die Variante, die der Mensch in sich trägt, tritt ganz besonders häufig bei bestimmten Krebsarten auf. Diese Domänen ziehen Tubulin aus dem Zellplasma quasi wie ein Magnet an. Danach wird es herausgewaschen, es ist sofort einsatzbereit und kann Mikrotubuli aufbauen – das haben elektronenmikroskopische Bilder bewiesen.

Die Forscher fingen zunächst mit Tubulin aus der Motte Spodoptera frugiperda an, funktioniert hat ihre neue Methode dann auch mit Zellen von Krallenfröschen, Hefe, Fadenwürmern und sogar menschlichen Nierenzellen.

Die neue Technik eröffnet nun neue Möglichkeiten für die Forschung: Tubulin und Proteine, die damit interagieren, kann man nun aus allen erdenklichen Modellorganismen herstellen und experimentell untersuchen. „Viele Krebsmedikamente setzen genau an den Mikrotubuli an und blockieren sie, um die problematische Zellteilung der Krebszellen zu stoppen – dies alles nun noch besser untersuchen und vielleicht verstehen zu können, ist also extrem wichtig“, so Per Widlund, einer der beiden Hauptautoren der Arbeiten.

Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Zeitschrift Molecular Biology of the Cell. Die Arbeiten haben es dabei sogar auf die Titelseite des Journals geschafft.